“C’est la guerre - das ist der Krieg!” [Porsche-Chef Prof. Dr. Fuhrmann]

oder

Frankreich vs. Porsche

oder einfach:

Le Mans 1977

Bis dato kannte ich Le Mans nur aus dem Film von Steve McQueen. Das Gefühl, als wir in Le Mans ankamen war unbeschreiblich. Le Mans war für uns heiliger Boden. Le Mans war wirklich wie im McQueen-Film. Und im Film wurde schon ein spannendes Rennen dargestellt. Was uns dann aber erwarten sollte schlug den Film an Spannung noch um Welten!

Normalerweise zieren Eintrittskarten Bilder aus dem Rennen des Vorjahrs. Aber 1976 hatte ein Porsche Le Mans gewonnen. Also wählte man lieber ein Bild von 1975.  In dem Jahr hatten es die Werks-Ford GR8 immerhin geschafft einen uralten privaten Porsche 908 zu besiegen.

Wir kamen zum zweiten Training am Donnerstag vor dem Rennen an. Jürgen Barth drehte seine berühmten Runden mit der Kamera am 936 - dem späteren Siegerwagen. Der Versuch, den ca. 250 km/h schnellen Wagen mit einer “Ritsch-Ratsch-Kamera” zu fotografieren funktionierte nur teilweise. Dafür war das Bild, das vom 936 von mir gemacht wurde, auch nicht viel besser. ;-)

Im Vorjahr hatte Porsche den Staatskonzern Renault (nicht nur) in Le Mans gedemütigt. Entsprechend ging man bei Renault das Rennen an. 6 (!) Renault-getriebene Wagen brachte man an den Start. Vier überarbeitete Alpine Renault A442, die mit den Vorjahres-Wagen fast nichts mehr gemein hatten,  und zwei Mirage mit Renault-Triebwerken.  Die zwei schnellsten Renault sollten die Porsche hetzen, zwei A 442 bildeten die Nachhut. Und die beiden Mirage sah man als Reserve. Porsche brachte zwei 936 und einen 935 an den Start. Fünf weitere Kunden-935 komplettierten das Feld der Porsche-Streitmacht.

Training

Traditionell findet das Training zu den 24h am Mittwoch und Donnerstag vor dem Langstreckenrennen statt. Die Trainingsplazierung hat bei einem 24h-Rennen eigentlich “nur” Prestigewert. Trotzdem, oder gerade deshalb, setzte Renault alles daran, die Pole -oder besser noch die erste Startreihe- zu erobern. Man wollte in der Schlacht an der Sarthe den totalen Sieg. Dazu Porsche-Rennleiter Manfred Jantke: “Der Westfeldzug gestaltet sich in diesem Jahr äußerst schwierig.”  Porsche hatte dem Trainings-Speed der Renault nichts entgegen zu setzen. Renault belegten die erste Startreihe. Auf der Pole standen Jabouille/Bell mit einer 3.31,7 min. Der schnellste Porsche 936, mit Ickx/Pescarolo, war satte 1,3 Sekunden langsamer. Rolf Stommelen stellte den Werks-935 mit einer 3.39,2 min, noch vor dem zweiten 936 mit Barth/Haywood, auf den 6. Startplatz. Dazu Rolf: “Ich wäre  lieber Sportwagen gefahren, aber dann nur als Nummer 1.” Den schnellsten Kunden-935 stellte Georg Loos - Hezemans/Schenken/Heyer  stellten den GELO-Porsche mit einer 3.40.3 min auf den achten Startplatz.

Die Kölner Kremer-Brüder hatten ihren Wagen an eine Sexzeitschrift und eine Zigarettenpapier-Firma vergeben. Dazu Erwin Kremer: “Selbst wenn ich hier ausfalle, bin ich finanziell noch besser dran als der Loos, wenn er ankommt!” Wirkliche Siegchancen hatten die 935 jedoch nicht, da sie zu oft zum Tanken an die Boxen mußten.

Etliche Statisten, von denen die meisten heute im aktuellen Le Mans Stars wären, füllten das 55 Wagen starke Feld. Den WM-Peugeot kam es auch damals schon nur auf den Top-Speed an, und Jean Rondeau machte mit den Inaltera auf sich aufmerksam. Das Hauptaugenmerk der Fans vor Ort aber richtete sich ausschließlich auf den Kampf Frankreich gegen Porsche. Dabei wurde Porsche “bevorzugt” behandelt: Jedem Werks-Porsche wurden zwei Funktionäre zugeteilt, während jeder andere Wagen nur einen Aufpasser hatte. Der -sportliche- Krieg wurde auf allen Ebenen geführt.



Das Rennen - Teil 1

Porsche-Desaster

16:00 Uhr. Start. Zwei Alpine A442 setzen sich sofort ab. Rolf Stommelen attackiert direkt auf der Startgeraden den vor ihm liegenden A442. Fast komplett neben der Strecke, nur wenige Zentimeter von der Mauer entfernt, fegt er, viel Staub aufwirbelnd, an dem Renault, und dem daneben liegenden 936 von Ickx, vorbei und liegt auf dem dritten Platz. Noch in der ersten Runde überholt Rolf einen weiteren A442 und kommt als Zweiter aus der ersten Runde zurück. Rolf ist klar, daß ein 935 nicht in Le Mans gewinnen kann, also bietet er wenigstens eine gute Show.

Bereits knapp eine viertel Stunde nach dem Start läutet ein Loos-Porsche, mit einer gut sichtbaren Qualmwolke am Horizont, das große Porsche-Sterben ein. Schenken schleppt den 935 mit Motorschaden an die Box.  Das Triebwerk platzte, so Schenken, ohne Vorankündigung bei 7000 U/min.

Nur knapp 18 Minuten später kommt Stommelen mit dem Werks-935 an die Box - eine Ölspur hinter sich herziehend. Man schraubt den rechten Ventildeckel ab und diagnostiziert  einen weichen Ventiltrieb. Stommelen verliert vier Runden an der Box und geht mit gebremsten Schaum wieder auf die Strecke. Da man in Le Mans nur alle 16 Runden Öl nachfüllen darf, muß der Wagen äußerst schonend bewegt werden. Dazu Rolf: “Aufgrund des wegbleibenden Öldrucks habe ich in den Kurven immer ausgekuppelt und bin mit wenig Drehzahl gefahren. Erst auf der Geraden beschleunigte ich vorsichtig.” Noch vor 20:00 Uhr ist dann aber endgültig Feierabend für den Werks-935. Eine Qualmwolke über der Mulsanne kündigt den 935 an der Box an. Nachdem eine defekte Zylinderkopfdichtung festgestellt wurde, beendete man den Einsatz der “41”. So richtig traurig wird Stommelen darüber nicht gewesen sein.

Um 17:13 Uhr kommt die “4”, der zweite 936 mit Barth/Haywood an die Box. Das Triebwerk nimmt kein Gas an. Ähnliche Symptome traten schon vorher beim 1000km-Rennen auf der Nordschleife auf. Man erinnerte sich daran und wechselt erneuert, auf Verdacht, die Einspritzpumpe. Man verliert eine knappe halbe Stunde und geht, auf Platz 41 zurück gefallen, wieder in das Rennen.

Dann der Schock: Qualmwolke über Maison Blanche, also ein Porsche auf dem Weg zur Box. Es ist der Leader, der Porsche 936 von Pescarolo/Ickx. Man nimmt die Haube ab entdeckt direkt das Loch, das ein Pleuel in den Block geschlagen hatte. Aus!

Nach drei Stunden sind zwei Werks-Porsche aus dem Rennen, der dritte Wagen hat einen Rückstand von mehreren Runden. Und an der Spitze ziehen vier Renault und der “Ersatz-Mirage” problemlos ihre Bahnen.

Was bleiben in so einer aussichtslosen Situation für Möglichkeiten?

Kämpfen!

Das Rennen - Teil 2

Die Nacht des Jacky Ickx

Bei Porsche sah man nur eine logische Handlungsweise: Man drehte den Ladedruck bis zur vertretbaren Grenze hoch und blies zur Attacke! Entweder halten und siegen, oder in Schönheit sterben - Porsche-Weltanschauung!

Was nun folgte, war eine Aufholjagd, wie es sie in Le Mans noch nie gab. Yörn Pugmeister fand die passenden Worte: “Dieser Vormarsch ist untrennbar verbunden mit der Figur des Jacky Ickx, der nach drei Le-Mans-Siegen offenbar nicht bereit schien, den in diesem Jahr möglichen Hattrick zu verschenken und den Fehdehandschuh der Franzosen aufhob, indem er bei Barth/Haywood zustieg. Damit beginnt das Kapitel des Belgiers in diesem Le -Mans-Krimi.

Ich habe noch nie einen Fahrer, der derart weit zurück lag, so hart fahren sehen. Und ausgerechnet den Jacky Ickx, der mir immer wieder schrecklich satt und arriviert vorkam, dem es an Biß zu fehlen schien. [...] Ickx fuhr mit seiner ganzen Substanz. Sechs Kilo verlor er von seinen 69 in vier Stunden, nur wenig davon konnte er durch Nahrungsaufnahme wieder wett machen. Die Spitzenzeiten der anderen interessierten ihn nicht mehr, er fuhr nach seiner eigenen Uhr. Zuerst zerriß er den Tagesrekord von Jabouille, dann pulverisierte er den absoluten Streckenrekord um nicht weniger als drei (!) Sekunden.”

Die Nacht von Le Mans ist bei den Teams gefürchtet. Renault hat auf den Druck des 936 reagiert und das Tempo verschärft. Zwei Renault und ein Mirage fallen der Nacht zum Opfer. Aber als die Nacht vorbei ist, führen immer noch zwei A442 vor dem letzten Werks-936.

Als Ickx um 6:10 Uhr zum Routinestopp an die Box kommt, wird beim Aufbocken des Wagens die Bremsleitung zerdrückt. Nichts dramatisches, aber selten bei einem Team wie Porsche.

Am Sonntagmorgen um 8:30 Uhr erwischt es den Renault von Jabouille: Motorschaden. Der 936, immer noch am Limit gefahren, geht in Führung. Der letzte verbliebene Renault will kontern und zahlt prompt den Preis: Motorschaden! Aus!

Am zweiten Mirage-Renault muß man bauen. Der Wagen fällt weit zurück. Auf Platz 2 liegt jetzt der GELO-935. Aber gegen Mittag sieht man wieder die berüchtigte Rauchwolke am Horizont: Hezemans schleppt den Porsche an die Box. Motorschaden! Nun liegt der Mirage-Renault wieder auf Platz 2. Repariert, aber mit gut 17 Runden Rückstand. Wenn der führende 936 keine Probleme bekommt, hat der Mirage-Renault keine Chance auf den Sieg.

Jürgen Barth bei der Aufholjagd 

Das Rennen - Teil 3

Auch die größte Spannung läßt sich noch steigern

40 Minuten vor Rennende ist sie wieder da, die berüchtigte Wolke über Maison Blanche. Der letzte verbliebene Porsche 935 kann es nicht sein, denn das JMS-Team fuhr -in weiser Voraussicht- nur mit 1,0 bar Ladedruck. Es ist der Leader! Der Porsche 936 schleppt sich qualmend an die Box. Motorschaden! Der Mirage-Renault liegt weit zurück, kann die fehlenden Runden nicht aufholen. Aber in Le Mans muß der Sieger um/nach 16:00 Uhr die Ziellinie kreuzen um zu gewinnen. Die zurückgelegte Strecke allein reicht nicht. Man legt einen Zylinder still und wartet. Eine Runde im Renntempo muß der 936 noch schaffen. 13640 Meter. Diese Runde muß innerhalb einer bestimmten Zeit gefahren werden. Ist der 936 zu langsam, zählt die Runde nicht.

Der Mirage-Renault dreht indes problemlos seine Runden.

Jürgen Barth setzt sich in den Porsche 936. Barth, der Angestellte von Porsche, ist der technisch versierteste Fahrer im Team. Jürgen muß die Runde in einer bestimmten Mindestzeit schaffen, damit sie gewertet wird. Andernfalls ist das Rennen verloren. Man versucht eine Stoppuhr am Lenkrad zu fixieren. Die Uhr läßt sich aber nicht problemlos fixieren, so nimmt man die Uhr wieder ab.

Um 15:50 Uhr wird der 936 auf die letzten Runden geschickt. Die Spannung ist unbeschreiblich! 300.000 Zuschauer rund um den Kurs wissen worum es geht. Jürgen Barth fährt los.

Insgesamt zwei Runden muß der Porsche halten, da zu der ersten Runde die Standzeit addiert wird.

Und der Porsche 936 hält!

Was für ein Rennen! Was für ein Sieg! Grenzenloser Jubel bei Porsche.

Es gab bis 1999 viele spannende Rennen in Le Mans, aber dieses Rennen übertraf sie alle! Und dieses Rennen lehrte: Egal wie aussichtslos die Lage ist: Gib nie auf!